Bei Weltklasse Zürich wurden nicht weniger als 25 «Wanda Diamond League Champions» gekürt – so viele wie noch nie an einem Abend. Elaine Thompson-Herah (JAM), Femke Bol (NED), Armand Duplantis (SWE) und Yulimar Rojas (VEN) verewigten sich mit Meeting-Rekorden im legendären Letzigrund-Stadion.
Stab: Zwei magische Marken
Armand «Mondo» Duplantis erfuhr bei seinen letzten Sprüngen, als er bereits als Sieger feststand, besonders grosse Aufmerksamkeit. Als letzter Athlet des diesjährigen Meetings war er nach 22.00 Uhr noch im Einsatz und versuchte sich vor den über 20’000 Augenpaaren dreimal auf der Weltrekordhöhe von 6,19 m. Heute hat es zwar nicht sein sollen, mit 6,06 m gelang dem Olympiasieger gleichwohl der allererste 6-m-Sprung bei Weltklasse Zürich.
Der Stabhochsprung der Frauen wurde zur Beute der amtierenden Weltmeisterin. Anzhelika Sidorova (ANA) siegte überlegen mit nicht weniger als 24 cm Vorsprung auf Katerina Stefanidi (GRE), die Olympiasiegerin von 2016. Sidorova, welche 2019 auch das Springen im Zürcher Hauptbahnhof gewonnen hatte, stellte mit 5,01 m nicht nur eine Jahresweltbestleistung und einen Diamond-League-Rekord auf, sondern überwand als erst vierte Frau überhaupt die magische 5-Meter-Marke. Einen Wettkampf zum Vergessen erlebte hingegen Katie Nageotte (USA), die Olympiasiegerin von 2021, die ohne gültigen Versuch blieb.
100 m: Schweizer Lärm und ein Meetingrekord
Selten war der Lärm im Stadion Letzigrund so gross wie beim 100-m-Lauf der Frauen. Und das hatte seinen guten Grund: Ajla Del Ponte (SUI) und Mujinga Kambundji (SUI) haben mit ihrer Olympiafinal-Qualifikation in der Königsdisziplin den Schweizer Sprint in diesem Jahr in eine neue Dimension gehievt. Dass dies kein Zufall war, bewiesen sie auch im Rennen um die Diamond Trophy. Beim überragenden Lauf von Elaine Thompson-Herah (JAM), die mit 10,65 Sekunden einen Meetingrekord aufstellte, liefen Del Ponte (10,93) und Kambundji (10,94) einmal mehr unter 11 Sekunden. Del Ponte schaffte als Dritte den Sprung auf das Podest.
Sein unglaubliches Speed-Repertoire stellte Fred Kerley (USA) mit seinem 100-m-Sieg in 9,87 Sekunden unter Beweis. 2018 hatte er die Diamond Trophy noch über die Bahnrunde gewonnen, jetzt gelang ihm dies auf der viermal kürzeren Distanz. Silvan Wicki (SUI) gelang mit 10,25 als Achter ein solides Ergebnis.
200 m: U20-Weltrekord durch Christine Mboma
Über die halbe Bahnrunde wurde es ein zweites Mal richtig laut. Mujinga Kambundji riss mit einem Lauf auf Rang 4, bei dem sie nur um Haaresbreite über dem Schweizer Rekord blieb, die Fans von den Sitzen. Dass die blutjunge Christine Mboma mit einem bärenstarken Auftritt einen Afrika- und U20-Weltrekord aufstellte, befeuerte die Stimmung zusätzlich.
Kenneth Bednarek (USA) schlug nach verlorenem Olympiafinal gegen André De Grasse zurück und holte sich mit 19,70 Sekunden die Diamond Trophy. De Grasse (19,72) wurde Zweiter, während Fred Kerley seinem Palmarés nach dem 100-m-Sieg einen dritten Platz hinzufügte. William Reais hielt die Schweizer Fahnen mit 20,49 Sekunden hoch.
400 m: Premierensiege in Zürich
Totes Rennen über die Stadionrunde: Mit einem «Zielsprung» setzte sich Michael Cherry (USA/44,41), Olympiasieger mit der 4x400-m-Mixed-Staffel, vor Kirani James (GRN/44,42) durch. Im Olympiafinal hatte James noch die Oberhand behalten und nach Gold in London 2012 und Silber in Rio de Janeiro Bronze gewonnen.
Bei den Frauen ging der Sieg erstmals an die Olympiasiebte Quanera Hayes (USA) in 49,88 Sekunden. Olympia-Silbermedaillengewinnerin Marileidy Paulino (DOM/49,96) musste sich wie Kirani James mit dem zweiten Platz begnügen.
800 m: Favoritensiege
Die 800 m der Frauen standen in diesem Jahr ganz im Zeichen eines Generationenwechsels. Dieser rote Faden zog sich auch bei Weltklasse Zürich durch. Die erst 19-jährige Keely Hodgkinson (GBR) setzte sich im Endspurt in 1:57,98 Minuten vor Kate Grace (USA) und Natoya Goule (JAM) durch. Der Schweizer Vertreterin Lore Hoffmann fehlte als Achte lediglich eine Viertelsekunde zum Unterbieten der Zwei-Minuten-Marke.
Gleiches Bild wie bei den Olympischen Spielen: Zwei Kenianer liefen als Schnellste über die Ziellinie und dies auch noch in derselben Reihenfolge wie in Tokio. Emmanuel Kipkurui Korir behauptete sich mit dem Gewinn der Diamond Trophy nicht nur an der Spitze der Welt, sondern auch im landesinternen Prestigeduell mit Ferguson Cheruiyot Rotich. Korirs Siegerzeit: 1:44,56 Minuten.
1500 m: Packende Duelle bis zum Zielstrich
Erstmals überhaupt hat Jakob Ingebrigtsen (NOR) seinen Antipoden Timothy Cheruiyot (KEN) bei Olympia bezwingen können. In einem packenden Finish, an dessen Ende die beiden Erstplatzierten nur 8 Hundertstel trennten, gelang Cheruiyot im Stadion Letzigrund die Revanche. Der amtierende Weltmeister feierte bei Weltklasse Zürich mit einer Zeit von 3:31,37 Minuten den vierten Sieg in Serie. Mit einem engagierten Rennen verdiente sich Stewart McSweyn (AUS) Platz 3.
Hochspannung auch bei den Frauen: Bis zur Schlussrunde belauerten sich die beiden grossen Favoritinnen Faith Kipyegon (KEN), zweifache Olympiasiegerin über 1500 m, und Sifan Hassan (NED), in Tokio Doppelolympiasiegerin über 5000 m und 10'000 m. Dann übernahm die Kenianerin das Zepter im Duell der Gigantinnen, doch die Europarekordhalterin liess nicht nach. So mussten auch hier die letzten Meter entscheiden. Und wie Cheruiyot hielt dessen Landsfrau dem Druck stand. In 3:58,33 Minuten gewann die Saisonschnellste ihre zweite Diamond Trophy nach 2017 und löste damit Titelverteidigerin Hassan (3:58,55) ab.
100 m Hürden / 110 m Hürden: Afrikarekord und frühes Aus
Ein afrikanischer Kontinentalrekord von 12,43 Sekunden sicherte der Nigerianerin Tobi Amusan die Diamond Trophy über 100 m Hürden. Aus Schweizer Sicht waren die Augen auf den Rohdiamanten Ditaji Kambundji (SUI) gerichtet. Die U20-Europameisterin schlug sich wacker und wurde in 13,01 Sekunden Achte.
Devon Allen (USA) revanchierte sich über 110 m Hürden erfolgreich für seinen undankbaren vierten Platz an den Olympischen Spielen in Tokio. Mit einer Saisonbestzeit (13,06 Sekunden) behauptete er sich im Fotofinish gegen Ronald Levy (JAM) und Olympiasieger Hansle Parchment (JAM). Gross waren die Erwartungen an den Schweizer Rekordhalter Jason Joseph, dem es in jüngster Vergangenheit gelungen war, die Weltbesten zu kitzeln. Gross war die Enttäuschung heute, als er wegen eines Fehlstarts disqualifiziert wurde.
400 m Hürden: Weltrekordhalter und Europarekordhalterin unwiderstehlich
Vor zwei Jahren hatte Karsten Warholm (NOR) einen Europarekord im Letzigrund aufgestellt. Inzwischen ist er zweifacher Weltmeister, Olympiasieger und (Fabel-)Weltrekordhalter. Auf den Lorbeeren mag sich der gemäss Eigenaussage «schnellste Wikinger der Welt» jedoch nicht ausruhen. So stellte er sich bei Weltklasse Zürich erneut der Konkurrenz, angeführt vom Olympiadritten Alison dos Santos (BRA). Auf seiner Lieblingsbahn 7 gestartet, ging Warholm das Rennen gewohnt schnell an, musste in 47,35 Sekunden jedoch nicht an seine Grenzen gehen, um die perfekte Saison mit dem Diamanten zu krönen.
Mit 21 Jahren ist Femke Bol (NED) der «Rising Star» über die 400 m Hürden. Die Europarekordhalterin und Olympiadritte jubelte in Zürich über ihren achten Sieg im Rahmen der Diamond League, den ersten beim Final. Und nicht nur das: In 52,80 Sekunden verbesserte Bol den Meetingrekord von Kim Batten (USA) aus dem Jahr 1998 um vier Hundertstel. Ihre Schweizer Trainingskollegin Lea Sprunger liess sich bei ihrer Derniere im Letzigrund vom Heimpublikum feiern.
3000 m Steeple: Kenianer drehen den Spiess um
An den Olympischen Spielen hatte sich Benjamin Kigen (KEN) noch von Soufiane El Bakkali (MAR) geschlagen geben müssen, der damit die kenianische Dominanz über die Hindernisse durchbrach. Im Letzigrund nahm Kigen erfolgreich Revanche. Noch vor dem letzten Wassergraben zog der Saisonschnellste unwiderstehlich an und rettete sich in 8:17,45 Minuten gerade noch ins Ziel. Olympiasieger El Bakkali (8:17,50) blieb wie schon 2019 und 2018 Finalrang zwei.
Bei den Frauen heisst Kigens Pendant Norah Jeruto (KEN/9:07,33). Nicht selektioniert für die Sommerspiele, liess die Diamond-League-Siegerin von Doha (QAT) und Eugene (USA) das gesamte Olympiapodest hinter sich. Hyvin Kiyeng (KEN/9:08,55) und Courtney Frerichs (USA/9:08,74) tauschten gegenüber Tokio die Plätze auf dem Podest.
Hoch (nur Männer): Tamberis One-Man-Show
Bereits zum zehnten Mal in diesem Jahr und als Einziger im Wettkampf meisterte Olympiasieger Gianmarco Tamberi (ITA) die Höhe von 2,30 m. Gewohnt exzentrisch und mit dem Publikum interagierend, kämpfte er sich in der Folge bis über die Höhe von 2,34 m. Eine Überraschung hielt Showman «Gimbo» für seine Ehrenrunde bereit: Nach dem erfolgreichen Sprung über 2,34 m schnappte er sich den bereitgestellten Diamanten gleich selbst, packte seine Olympia-Goldemaille aus und teilte sie mit dem Zürcher Publikum.
Drei: Weltrekordfrau fliegt zum Letzigrund-Rekord
Sie habe noch nicht genug, hatte Yulimar Rojas (VEN) im Vorfeld von Weltklasse Zürich gesagt. Die Olympiasiegerin und Weltrekordhalterin hielt im Letzigrund Wort. Bereits im ersten Versuch knackte die Südamerikanerin den 26 Jahre alten Meetingrekord von Anna Biryukova (RUS). Der erste Finalsieg in Zürich war in trockenen Tüchern. Doch Rojas wollte mehr. Im letzten Versuch flog sie erneut weit und näherte sich ihrem eigenen Weltrekord (15,67) bis auf 19 cm: 15,48 m und drittbeste Leistung aller Zeiten!
Auch Pedro Pichardo (POR) – wie Rojas Olympiasieger in Tokio – legte im sechsten Durchgang nochmals alles in die Waagschale. Der letztjährige Sieger der «Weltklasse Zürich Inspiration Games» verdiente sich seinen ersten Diamanten mit 17,70 m vor Fabrice Hugues Zango (BUR/17,20 m), seines Zeichens Olympia-Bronzemedaillengewinner und Hallenweltrekordhalter.
Diskus: Olympiasieger am stärksten
Bei den vier Qualifikationsmeetings der Diamond League gewann entweder Yaimé Pérez (CUB) oder die 44-fache Siegerin Sandra Perković (CRO). Beim Final aber war es erneut Olympiasiegerin Valarie Allman (USA), die den arrivierten Werferinnen ein Schnippchen schlug. Mit 69,20 m distanzierte sie die sechsfache Gesamtsiegerin Perković (67,22 m) und Weltmeisterin Pérez (64,83 m) deutlich.
Ungeschlagen seit nunmehr 16 Wettkämpfen, gab sich Daniel Ståhl (SWE) auch beim Saisonfinal keine Blösse. Mit 66,49 m hielt sich der Olympiasieger und Weltmeister schadlos und durfte seine zweite Diamond Trophy in die Höhe stemmen.
Speer: Die Deutschen schlagen zurück
Versöhnlicher Saisonabschluss für Johannes Vetter und Christin Hussong (GER). Mit 89,11 m respektive 65,26 m sicherten sich die beiden deutschen Speerwurf-Asse die mit je 30'000 US-Dollar dotierte Diamond Trophy und konnten sich zumindest ein bisschen für das frühe Olympia-Aus rehabilitieren. Mit ihrem Finalsieg haben sie sich zudem vorzeitig für die Weltmeisterschaften 2021 in Eugene/Oregon (USA) qualifiziert. Der 20-jährige Lokalmatador Simon Wieland (SUI) liess sich mit 78,11 m eine Schweizer Saisonbestleistung notieren.